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Drei unkonventionelle Damen  – Nan Hoover, Maria Lassnig und Anneliese Hager in der Mannheimer Kunsthalle

Drei unkonventionelle Damen – Nan Hoover, Maria Lassnig und Anneliese Hager in der Mannheimer Kunsthalle

NAN HOOVER – VIDEO

Man solle sie ruhig unterbrechen, wenn etwas nicht verständlich ist. Und das habe, so erzählt sie weiter, damit zu tun, dass man sie in der Grundschule zunächst aus einer Klasse in die andere geschoben hatte, weil sie beispielsweise nicht die Zahl 8 von einer 9 unterscheiden konnte: ein Alptraum für jeden Mathematiklehrer. Aber es gab diese Probleme nicht nur mit den Zahlen, sondern auch mit den Buchstaben. Etwa bis 1942 – sie war keine 11 Jahre alt – dauerte die Schieberei aus einer in die andere Klasse an.

Die Rede ist von Nan Hoover, der offensichtlich sehr bald klar wurde, dass sie in einem klassisch orientierten Schulsystem keine Chance hat, und sich deshalb sehr jung für Tanz und Malerei zu interessieren begann. Mit 18 verfolgt sie an der Cordoran Gallery School in Washington, die von dem Philanthropen William Wilson Corcoran gegründet worden war, ihre ersten Kunstkurse. Die Sammlung konzentrierte sich auf die klassische amerikanische Kunst, bis 1890 eine Kunstschule an der Washingtoner Ellipse (südlich des Weißen Hauses, besser bekannt als President’s South Park) dazu kam. Von da war es nicht allzu weit in das Museumsgebäude, wo es neben amerikanischen Malern des 19. und 20. Jahrhunderts beispielsweise auch Porträts von Rembrandt gab, die Nan Hoover besonders interessierten.

1955 beendete sie ihr Studium in Washington und zog nach New York. Seit 1953 war sie mit Harald Hoover verheiratet und lebte dort. Über diese Jahre ist wenig bekannt, es wird nur von „vagen Reflexen auf Familienthemen wie Mutter und Kind oder Kind und Eltern…“ gesprochen, die sich zwar auf einigen ihrer Gemälde aus dieser Zeit finden, aber nicht autobiographisch sind. Hoover ist inzwischen Mutter von drei Kindern. 1962 verlässt sie New York (das älteste ihrer Kinder ist gerade 8 Jahre alt, das jüngste 4) und geht für 6 Monate nach Europa – zunächst nach Paris. Aus dieser Zeit stammen einige kleine Gemälde und Zeichnungen. Ob sie Kontakte zur Pariser Avantgarde dieser Zeit hatte, ist unbekannt. (Demgegenüber traf sich Maria Lassnig beispielsweise, die schon 1951/52 mit Arnulf Rainer in Paris war, mit sämtlichen Avantgardemitgliedern um André Breton).

In New York gab es in den 1950er Jahren eine ganze Reihe von Absolventen amerikanischer Künstlerinstitutionen, die sich hier den großen Durchbruch erhofften, im Verhältnis dazu aber wenig Galerien, die bereit waren, einem Unbekannten die Tür zu öffnen. Es scheint, dass nur die radikalsten (wie etwa Jackson Pollock), den richtigen Schlüssel besaßen.

Die meisten von Hoovers Zeichnungen aus jener Zeit haben Sexualität als Thema, doch die relativ flachen Arbeiten mit Betonung der Sexualorgane finden zwar möglicherweise Kunden, doch nicht immer die Kunstliebhaber, die es weitertrugen, mag auch im Hintergrund dieser zeichnerischen und malerischen Auseinandersetzung die intensive Beschäftigung einer jungen Frau mit den Problemen zum anderen und zum eigenen Geschlecht im Fokus stehen. Die Anerkennung kam erst mit Hoovers ersten wichtigen Arbeiten in der jungen Domäne der Videokunst. Schon in der Anfangsphase waren es viele dynamische Versuche, die sie in die neue Technik integrierte – und diese waren einfach revolutionär. So filmte sie etwa die dynamische Bewegung ihrer Hand vor einer Lichtquelle, die diese in eine kontinuierliche und fließende Bewegung umsetzte. Sie hatte ihre erste Kamera schon 1973 in der Hand, nach und nach bekam sie auch das richtige Gespür für Licht, Bewegung und die eigentümliche Dynamik bei ihren Versuchen mit den verschiedenen Möglichkeiten der Aufnahmetechnik: „Licht, das sich auflöst“ (1975), um schließlich im „Gefühl der Zeitlosigkeit“ zu münden.

Hoover verdankt eigentlich dem holländischen Maler Richard Hefti ihre Begeisterung für die Videokunst. Denn dieser hatte eine Videokamera, mit der sie zu experimentieren begann. Ihr erstes nennenswertes Experiment war eine Street Performance 1974 in Berlin. Durch ihre Heirat mit Hefti erlangte sie 1975 die holländische Nationalität und konnte ein Jahr später den Multimediaraum in Amsterdam (de Appel) eröffnen. Die internationale Anerkennung folgte fast gleichzeitig und sie wurde 1977 zur Documenta 6 eingeladen und konnte auch ihre Arbeiten im Museum of Modern Art in New York zeigen.

Zum Video kamen dann die Fotografie und die Performance: interessanterweise realisierte sie ihre Performance zum ersten Mal 1981 im Heidelberger Kunstverein, wo sie auf eine Projektion ihrer Videotapes folgte.

Ihre erste Einzelausstellung fand 1979 im Stedeljik Museum in Amsterdam statt, begleitet von einer Fotoausstellung, und einer Eröffnungsperformance. 1980 findet sie sich in Berlin, mit einem Stipendium des DAAD … ihr produktivstes Jahr, wie sie später behaupten wird. Sie unterrichtet dann an der Hochschule für bildende Künste in Düsseldorf, findet dort auch wieder den Weg zu großen Kohlezeichnungen und schafft Bronzeskulpturen.

Eine extrem reiche Kunst Vita mit Indoor- und Outdoor-Installation an zahlreichen Orten in Deutschland und anderswo: Glyptothek München, Kunst- und Ausstellungshalle der BRD – Bonn, Museum Wiesbaden.  2005 zog sie nach Berlin, wo sie weiterarbeitete bis ihren Tod 2008.

Bleibt noch zu vermerken, dass die Mannheimer Kunsthalle eine schöne Einführung in ihre Videokunst im Rahmen dieser Dreier-Ausstellung präsentiert und dass ihr Nachlass durch die Mannheimer Galerie von Sebastian Fath verwaltet wird.

Zu Recht charakterisiert Christina Bergemann Nan Hoover im Katlaog als Grenzgängerin: „Für sie ist vor allem die Bruchstelle, der schmale Grat zwischen abstraktem Gefühl und der und der körperhaften Wahrnehmung interessant.“. Das gilt nicht nur für die Videokunst, sondern für fast alle ihrer Kunstaktivitäten.

Nan Hoover, Impressions, 1978, Video, Copyright Nan Hoover Foundation, Courtesy Sebastian Fath Contemporary

ANNELIESE HAGER – FOTOGRAMME

Zwischen 1843 und 1854 hat ein Freund von Anna Atkins, der Chemiker John Herschel, die Zyanotypie (ein direktes photographisches Verfahren durch den Kontaktprint auf ein lichtempfindliches Papier) erfunden. Anna Atkins begann in diesen Jahren, getrocknete Algenpflanzen auf lichtempfindliches Papier (Ultraviolettes und Blaulicht Spektrum) zu legen, das am Ende ein Negativbild der Pflanze auf einer blauviolette Papierunterlage abgab. 1843 veröffentlichte sie das erste Fotobuch mit etwa 420 Abbildungen: Photographs of British Algae – Cyanotype Impressions.

Es ist ein Verfahren, das bis heute verwendet wird, auch wenn es erheblich vereinfacht wurde und beinahe in allen Ländern dieser Erde schon am Ende des 19. Jahrhundert weite Verbreitung fand. Kein Wunder, dass zu Anfang des Jahrhunderts, als es noch keine Möglichkeit gab, eine Kamera zu erwerben, die Cyanotypie ihre Blütezeit erlebte. Und als dann auch das fotografische Papier langsam erschwinglich wurde, war es in vielen fotografischen Schulen und Kursen möglich, die sogenannten Fotogramme herzustellen, weil man einfach Objekte auf fotografisches Papier in der Dunkelheit oder bei aktivischen roten Licht legen konnte, dann kurz das Licht einschaltete und das so belichtete Fotopapier entwickelte.

Anneliese Hager besuchte den Berliner Lette-Verein zwischen 1920 und 1922, daneben war sie Assistentin für Mikrofotografie an Wilhelm Kaiser Institut in Berlin (bis 1924). Sie hatte also genügend Gelegenheiten, die Feinheiten des Umgangs mit Negativen und Positiven zu erlernen. Außerdem begann sie 1934, die Werke von K.O. Goetz zu fotografieren. Aus der Begegnung wurde eine große Freundschaft und Liebe, die 30 Jahre andauerte. Goetz war es auch, der Hager zum künstlerischen Ausdruck animierte, das Paar zog nach Dresden um, im Krieg tat Götz als Nachrichtenoffizier in Norwegen Dienst. Im Februar 1945 wurden sein Atelier und Wohnung völlig zerstört und damit auch Hagens Fotogramme (etwa 150 an der Zahl). Das Paar heiratete im gleichen Jahr.

Beide mussten neu anfangen, die Familie lebte bis 1950 in Koenigsfoerde. Götz wurde bald, dank seiner zahlreichen Kontakte in Frankreich, ein wichtiger Mittler zwischen beiden Ländern. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Cobra, seine Frau stellte dann auch bei der einzigen Ausstellung der Gruppe aus. Immer mehr rückte jedoch das Schreiben ins Zentrum ihres Interesses. Gedichte und Übersetzungen aus dem Französischen (z.T. mit Goetz) wurden ihr immer wichtiger. Sie zeigte nach wie vor ihre Photogramme in verschiedenen Galerien, aber als sie mit Goetz 1959 nach Düsseldorf zog, wo er an der Kunstakademie eine Professur erhielt, dominierte eindeutig das geschriebene (und übersetzte) Wort. Noch zwei Mal – 1962 und 1964 – stellte sie einen Zyklus ihrer Fotogramme im Buchformat aus. 1965 ließ sie sich von Goetz scheiden und beendet ihre Arbeit an Fotogrammen.

Möglicherweise waren jene durch das Bombardement 1945 vernichtete Fotogramme vom gleichen hohen Niveau wie ihr Selbstporträt, das durch die raffinierte Technik dem direkten Fotogramm überlegen ist und mit dem dazu belichteten Part unter dem Vergrößerer den Höhepunkt der Ausstellung bildet.

Anneliese Hager, o.T. (Portrait A. H.), 1947, Harvard Art Museums/Busch- Reisinger Museum, Geschenk der German Friends des Busch- Reisinger Museum, © Estate of Anneliese Hager, Foto: President und Kollegen des Harvard College, 2018.313

MARIA LASSNIG – MALEREI

Selbstverletzungen – permanent? Zurzeit läuft in der Berliner Neuen Galerie eine Ausstellung mit dem Titel „Die Zerreißprobe“, in der zwei markante großformatige Bilder von Maria Lassnig dominieren. In diesen Körperbildern hatte man eine Art von Boshaftigkeit entdeckt, mit der sie im Geiste ihre Körper „malträtierte“, bevor sie zum Pinsel griff. Man ahnt, was es bedeutet: über die Jahrzehnte eine seltsame Unneliese Hager, o.T. *Portrait A.H.(nzufriedenheit, die aus den inneren Empfindungen auf die Oberfläche drang und die sie – bei der documenta 10 von Catherine David – als „meine bösen Bilder“ bezeichnete. Die „Konturenmalereien“, die ihr markantestes Zeichen ist, lassen sich keinem Stil zuordnen. Das wusste auch ihr erster Kunstlehrer an der Wiener Akademie der Bildenden Künste, Wilhelm Dachauer. Er mochte die expressiven Bilder von Lassnig nicht und als er zu ihr sagte „Sie malen ja ganz entartet“, wechselte sie in die Klasse von Ferdinand Adri. Noch bevor der Krieg zu Ende war, hatte sie ihr Diplom in der Tasche. Sie mietete fast sofort nach ihrer Rückkehr aus Wien nach Klagenfurt ein Atelier, das zum Zentrum der dortigen künstlerischen Avantgarde wurde. 1948 lernte sie den 10 Jahre jüngeren Maler Arnulf Rainer kennen, ein intensiver Austausch über die zeitgenössische Kunst begann. Sie wurden ein Paar.

Als dann Lassnig 1951 ein Stipendium vom französischen Kulturinstitut bekam, nahm sie Rainer nach Paris mit. Die beiden schlossen zahlreiche Freundschaften mit Künstlern, die dem Surrealismus um André Breton nahe standen und lernten auch Breton selbst kenne, dessen autoritärer Ton ihnen jedoch missfiel. Zurück in Österreich, haben sie die wichtigen Eindrücke ihres Pariser Aufenthaltes in einer gemeinsamen Ausstellung – “Junge unfigurative Malerei“ (mit einem programmatischen Manifest von Lassnig) im Künstlerhaus Klagenfurt präsentiert: sie wurden grob missverstanden…

Bereits mit 10 soll Lassnig einen Rembrandt mit einer unglaublichen Präzision kopiert habe. Dann sollte sie, 51 Jahre später, eine Professur annehmen, die ihr offensichtlich buchstäblich im Hals stecken blieb. Sie quälte sich mit Fragen wie: „Ich kann den Apfel nicht verstehen“, stellte aber die Malerei haushoch über die Wissenschaft und versicherte jedem, dass ihr Bild aus ihrer New Yorker Zeit „Woman Power“ (1979) eine ganze Generation beeinflussen würde. Eine harte Frau, die mit ihren „drastischen Bildern“ – „…sehr offenkundig, sehr stark und eindeutig…“– gegen die Welt ankämpfte und auch eine sehr weiche Seite hatte, die mit der Schere durch das Gras pflügte, um neue, unbekannte Insekten zu entdecken…

Die große Frage, wie sich das Bewusstsein des eigenen Körpers in Bilder umsetzen ließe, stellte sie sich Anfang der 1948 Jahre. Über den Surrealismus, dann eine Informel-Abstrakte Phase kam sie zur Rezeption kubistischer Akte und zum Selbstporträt, wobei sie nie den Sinn für eine tiefere Befragung des eigenen Ichs außer Acht ließ. Ihre Phase, die sie den Augen widmete, könnte als Paradigma verstanden werden. Was sieht man mit geschlossenen Augen, wenn man sie plötzlich öffnet: was zuerst, was danach, was bleibt übrig?

Sie war zwei Mal bei der documenta und drei Mal bei der Biennale in Venedig (ausgezeichnet mit Goldenen Löwen) vertreten; ihre Kunst wurde mit der Zeit immer gefragter. Die jetzige bis Ende Januar 2024 verlängerte Ausstellung im Käthe-Kollwitz-Museum in Köln bestätigt es.

1961 bis 1968 lebte Lassnig in Paris und begann hier großformatige Körperbewusstseinaquarelle anzufertigen, die ein Hauptanliegen ihrer Malerei wurde. Während ihres Aufenthaltes in New York (1968 – 1980) kam sie mit dem Trickfilm in Kontakt. Fortan widmete sie sich immer wieder mit ihrer 16 mm Kamera der Herstellung von kurzen Filmen und gründete 1974 eine Vereinigung filmschaffender feministischen Künstlerinnen. Erst 1980 kehrte sie nach Wien zurück und übernahm an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien eine Gestaltungsklasse.

Die Mannheimer Kunsthalle zeigt jetzt eine feine Auswahl ihrer Gemälde, unter anderem das Selbstporträt mit Pinsel, 2010-2013, wie auch einige ihrer Filme, die erst nach ihrem Tod bearbeitet werden konnten – auch hier heißt die Hauptfigur meist Maria Lassnig.

Eindeutige sind die Präsentationen von Nan Hoover und Maris Lassnig das herausragende Ereignis des künstlerischen Treffens dieser drei Frauen, von denen Impulse zu weiteren Ausstellungen ausgehen könnten. Weder Nan Hoover noch Maria Lassnig mangelte es am Willen, Neues zu entdecken und Neues zu kreieren.

Maria Lassnig, Ich trage die Verantwortung, 1981, Öl auf Leinwand
© Maria Lassnig Stiftung, Wien / VG Bild-Kunst, Bonn 2023,
Photo: Roland Krauss



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