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Die CoBrA-Sackgasse – eine Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim

Die CoBrA-Sackgasse – eine Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim

Jean Dubuffet : “Ce que j’ai recherché dans mon art c’est de conserver les qualités d’invention et de liberté que les enfants mettent dans le leur”

Im September 1950 besuchte Jean Dubuffet die Sammlung Prinzhorn, die damals unter der Ägidie der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg stand. Extrem vorsichtig machte er sich Notizen zu den Blättern der Patienten des Nervenarztes, Psychiaters und Kunstliebhabers Hans Prinzhorn (1886-1933). Dieser hatte einen Bestand von rund 6.000 Zeichnungen, Aquarellen, Gemälden, Skulpturen, Textilien und Texten, die Insassen psychiatrischer Anstalten zwischen 1840 und 1945 geschaffen haben, angelegt. Dubuffet konnte damals etwas mehr als 120 Blätter minutiös studieren und sich dazu entsprechende Notizen machen – fünf Jahre, nachdem er den Begriff Art Brut (in seiner Vorstellung eine rohe, von keinerlei „künstlerischen Einflüssen“ bedingte künstlerische Äußerung) geprägt hatte. Diese Kunst gehorchte keinen durch Ausbildung an Malschulen oder Kunstakademien geformten Vorgabe. Im Gegenteil, Prinzhorns Patienten griffen zum Stift, Farbe, oder auch zu bunten Fäden oder Holz, um daraus Figuren zu schnitzen – ausschließlich aus freiem Willen.

Es scheint, dass Dubuffet in diesen fünf Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in denen er die Fundamente seine „Art Brut“ festlegte, auch den einen oder anderen Künstler des sich soeben formierenden Kunstbewegung kennenlernte (oder zumindest deren Arbeiten), die nach ihren Entstehungsorten Kopenhagen, Brüssel, Amsterdam CoBrA genannt wird. Man muss wissen, dass Dubuffet erst mit 40 Jahren zur Kunst fand, zuvor hatte im Familienunternehmen Weinhandel betrieben. Erst 1942 begann er mit der Malerei, zwei Jahre später entstanden die ersten „freien“ Lithografien. Seine Erfahrungen als Jugendlicher mit der Kunst waren eher negativ: In der 10. Klasse schrieb er sich in einer Kunstschule in seiner Geburtsstadt Le Havre ein, nach dem Abitur wechselte er an die berühmte Malakademie Académie Julien in Paris, die er jedoch bald sehr enttäuscht verließ. Was ihm vorschwebte, war ein freier künstlerischer Ausdruck. Am Anfang stand das Experimentieren mit lithographischen Steinen, die er mit Schleifpapier, in Säure getränkten Tücher, etc. bearbeitete. Sehr schnell waren es 1500 lithographische Blätter, das Ergebnis seines unermüdlichen Erprobens von Strukturen und verschiedenartig bearbeiteten Oberflächen, die er 1949 in einer Abhandlung, die eine neue Kunstrichtung begründete, so zusammenfasste: „L’art brut préferé aux arts culturels“. Das heißt „roher Kunst“ statt der an den Kunstschulen und Akademien verabreichten kulturellen Kunst…

1949 ist ebenfalls das Jahr, wo, nach der Auffassung der Kuratoren der großen Ausstellung in der Mannheimer Kunsthalle, die CoBrA-Bewegung ihren Höhepunkt erreichte, indem sie sich deutlich von konventionellen Kunstpositionen abwendete, und sowohl das gesellschaftliche Zusammenleben wie auch die künstlerischen Positionen neu zu definieren suchte (so auch Dr. Inge Herold, eine der Kuratorinnen der Ausstellung): Zu Recht weist diese auf die neuen Inspirationsquellen der dieser Bewegung zugehörigen Künstler hin. Ihre Themen waren außereuropäische Kulturen, der einfache und frische Ausdruck wie etwa während der ersten Zeichenversuche von Kindern. Man sieht auch den ursprünglichen Impuls dieser Künstlerbewegung in der Skandinavischen Mythologie, in den Volkserzählungen und Mythen.

Auch wenn die Jahre zwischen 1948 und 1951 als eine der wichtigsten Etappen der CoBrA Bewegung gelten – hauptsächlich, weil es offensichtlich in vielen europäischen Ländern Bestrebungen gab, den „arts culturels“ abzusagen (im Sinne Dubuffets) – muss man sich im Klaren darüber sein, dass es meistens Künstler traf, die aus welchem Grund auch immer, die Akademien nicht besuchen konnten. Viele Hochschulen in vielen Ländern waren während des Krieges geschlossen, an eine Ausstellung war meist nicht zu denken. Auch wenn unmittelbar nach dem Krieg viele Künstler auf der Suche nach Kollegen waren, die im gleichen – meist aber amateurhaften Geist arbeiteten – beschränkten sich diese Verbindungen letztendlich auf jene, die eine Zeitlang in Paris lebten, oder kurz nach dem Kriegsende dorthin übersiedelten.

An größere künstlerische Demonstrationen war noch nicht zu denken. Mit Kollegen, die in der düsteren Zeit allein für sich gearbeitet hatten, galt es, jetzt einen gemeinsamen Nenner zu finden, unter dem eine neue Kunst fungieren könnte. Der Däne Asger Jorn und der Belgier Christian Dotremont gehörten zu den aktivsten Mitgliedern der nur drei Jahre existierenden Gruppe, die sie zusammen am 8. November 1948 mit Karel Appel, Constant, Corneille, Asger Jorn, Pedersen und Joseph Noiret in einem Pariser Café gründeten. Wenn sich auch der Name CoBrA auf die Hauptstädte von den Niederlanden, Belgien und Dänemark bezieht, so lässt er gleichzeitig an eine Kobra denken. Die Giftschlange symbolisierte für die Künstler ihre Progressivität und Radikalität. CoBrA trat gegen akademische und bürgerliche Normen an. Nach zwei großen Ausstellungen, 1949 im Stedelijk Museum in Amsterdam und 1951 im Palais des Beaux-Arts in Lüttich, löste sich die Gruppe 1951 wieder auf.

Eigentlich müsste man jede künstlerische Äußerung dieser Jahre bei jedem Künstler dieser Zeit einzeln bewerten, denn sie sind qualitativ sehr unteschiedlich. In der Mannheimer Ausstellung sind Künstler aus Dänemark, Belgien, Holland, Schweden, Frankreich, Deutschland, Tschechoslowakei, Schottland und Ungarn vertreten, wobei die ersten drei die größte Gruppierung darstellen und es in anderen Ländern zahlreiche Künstler gab, die sich im CoBrA-Netzwerk nur sporadisch oder zeitlich beschränkt engagierten. Der einzige deutsche Künstler und Mitglied war K.O. Götz. Auch wenn er an beiden CoBrA Ausstellungen teilgenommen hat, war dies offensichtlich nur eine Vorstufe zu seiner informellen Malerei war.

Man könnte die famose Werteskala von Jean Dubuffet anwenden, die er auch während seiner Prinzhorn Visite aufstellte: von  „extrêmement intéressant“ – äußerst interessant – über „médiocre“ – mittelmäßig – bis zu „pas bien“ – nicht gut- ging seine Wertung. Was Dubuffet suchte, war das Festhalten an der innovativen Kraft der Kinder und ihres freien, durch nichts beeinflussten Umgangs zur Kunst. Nicht mehr und nicht weniger. Dies gelingt jedoch der Mannheimer Ausstellung nur selten. Asger Jorn, Else Alflet, Henry Heerup sind eindeutig die führenden Persönlichkeiten, Corneille, Constant und Karel Appel stehen eher in Dubuffets Schatten. Bei vielen anderen spricht man zu Recht von „gleichgesinnten“ Künstlern.

Bis 5.3.23 Kunsthalle Mannheim



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