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Verspielt und dabei streng mit sich selbst – Niki de St. Phalle in der Schirn

Verspielt und dabei streng mit sich selbst – Niki de St. Phalle in der Schirn

Wenn man zufällig im Spätsommer 1983 von der Kirche St.-Merri im spätgotischen Stil über den Platz Igor Stravinsky zum Centre Pompidou geradeaus spazieren wollte, war das nicht mehr möglich. Schon von Weitem schallten dem Flaneur kindliche Schreie entgegen, bis er schließlich auf einen Brunnen stieß, der – aus 16 Skulpturen bestehend – in einem großen mit Wasser befüllten Planschbecken thronte, soeben installiert. Der Stravinsky Brunnen hatte zwei Unterschriften: die dunklen Einzelteile waren von Jean Tinguely, dem schweizerischen Bildhauer, während die großen bunten Skulpturen von seiner Frau Niki de St. Phalle, die mittlerweile die französische Staatsangehörigkeit hatte, stammten. Sie war weltweit für ihre großen und prallen weiblichen Skulpturen – ihre Nanas – bekannt. Für die Kinder aber war der Brunnen ein Paradies an heißen Tagen, denn das Planschbecken stellte keine Gefahr für die Kleinen im Wasser dar. Zudem konnten einige der Statuen Wasser speien. So pulsierte der einst traurige leere Platz, wo der Wind Abfälle, Plastikflaschen und Altpapier von einer Ecke in die andere jagte, erneut von Leben.

Die 16 Skulpturen wie etwa l’Oiseau du feu (Der Feuervogel), Le Renard (Der Fuchs), Le rossignol (Die Nachtigall) zählen den wichtigsten Werken jener Zeit von Niki de St. Phalle. Le Chapeau de Clown (Der Hut des Clowns), ein blauer Hut, der sich auf der Wasseroberfläche um die eigene Achse drehte, wurde fast immer von Kindern umzingelt. Die Konstruktion ist durchaus kompliziert: Elektromotoren bewegen die Skulpturen, Pumpen heben Wasser bis zu 3 Metern Höhe, das Becken aus Stahl musste perfekt abgedichtet werden, sonst könnte das Wasser in die darunter liegenden Räumlichkeiten des Zentrums für zeitgenössische Musikforschung (IRCAM) laufen. Einst von Pierre Boulez geleitet, war es der Dirigent, der auf die Idee eines Brunnens kam und dabei an Stravinsky dachte und wie auch an Jean Tinguely, dem man zutraute, eine „lebendige Skulptur“ zu kreieren. Eine Bedingung stellte Tinguely aber: Niki de St. Phalle musste unbedingt mit ihren Arbeiten dabei sein. Man einigte sich in ganz kurzer Zeit, so die Zeitzeugen….

Diese Entwicklung war alles andere als vorgezeichnet. Als junge Frau stand Niki de St. Phalle

einem der größten deutsch-amerikanischen Modefotografen, Horst P. Horst, Modell für die Zeitschriften Vogue, Elle und Life stand. Doch dies war ihr vermutlich zu wenig, eine passive Rolle passte nicht zu ihr. Bald nach diesen Shootings heiratete sie einen jungen Schriftsteller und verließ 1952 die USA. Der Weg führte nach Paris, ein Jahr studierte sie dort Theater, doch das alles endete mit einem Nervenzusammenbruch und der Einweisung in eine psychiatrische Klinik: Hier begann sie zu malen. Die Kunst ermöglichte ihr, „die große Finsternis der Depression zu überwinden,“ wie sie später diese Zeit charakterisierte.

Ein Aufenthalt auf Mallorca, die starke Farbigkeit und letztendlich auch die Auseinandersetzung mit der spanischen Kunst und mit der Architektur von Antonio Gaudí  flossen in ihre Malerei ein. Ende der 1950er Jahre kehrte die Familie nach Paris zurück, doch die Ehe hielt nicht und das Paar trennte sich 1961.

Inventarienr: NMSK 2134Konstnärens namn: Niki de Saint PhalleOriginaltitel: Tableau tirAlternativ titel: SkjutbildDatum: 1961Fotograf: Albin Dahlström

Ein Jahr darauf folgte die Revolte – die „Tirs“. Als Niki de St. Phalle  genug Staub dadurch aufgewirbelt hatte, um einen hohen Bekanntheitsgrad zu erreichen und – inmitten ihres Kreises der Künstler der Nouveau Réalistes und ebenfalls mit Hilfe ihres Gefährten Jean Tinguely – eine neue eigene poetische Welt für sich und andere zu entwerfen  (ihre Nanas waren nur ein kleiner Bruchteil dieser Welt), wagte sie sich nach und nach an immer größere Projekte (die leider nicht alle in der Schirn zeigbar sind), wie etwa die „Hon-en katedral“ (Sie – Eine Kathedrale) im Stockholmer Moderna Musset, eine 28 Meter lange, 9 Meter breit und 6 Meter hoch weibliche Figur, die man von innen besuchen konnte, sobald man durch die Vulva am Eingang durchquerte (was natürlich als skandalös empfunden wurde). Le Jardin des Tarots (Tarots Garten) mit 22 großen, zum Teil begehbaren Skulpturen im italienischen Garravicchio  (Capalbio, Provinz Grosseto, Toskana), das Paradis Fantastique für die Expo Montréal 67 (mit 9 Skulpturen von Niki de St.Phalle und 6 kinetischen Skulpturen von Tinguely). Es folgten 1974 3 große Nanas in Hannover, 1983 der Stravinsky Brunnen in Paris. 1988 gibt der französische Präsident François Mitterand bei Tinguely und St. Phalle einen Brunnen vor dem Rathaus in Château-Chinon in Auftrag, 1992 kommt ein Brunnen in Duisburg (Lebensretter) dazu sowie unzählige Galerie- und Museumausstellungen in der ganzen Welt. 1996 öffnet das Museum Jean Tinguely in Basel (Architekt Mario Botta) mit 55 wichtigen Skulpturen von Nicky de St. Phalle seine Pforten, hinzu kommen Arbeiten für die 3 Grotten im Großen Garten der Herrenhäuser in Hannover (2000).

Seit 1994 lebte Niki de St. Phalle in St. Diego in Kalifornien. Ihre Gesundheit verschlechterte sich zusehends, die giftigen Gase aus der Bearbeitung der Nanas hatten ihre Lunge so stark angegriffen. Sie starb am 22. Mai 2002. Für die Retrospektive-, die am 16. März 2002 in Nizza eröffnet wurde und die gerne nochbesucht hätte, reichten die Kräfte nicht mehr.

Es sind nicht nur ihre Skulpturen, die sie so berühmt gemacht haben, sondern auch ihre Skizzen und Zeichnungen. Ihre architektonischen Entwürfe und nicht zuletzt ihr ausgeprägter kommerzieller Sinn (ein Parfum, das sie entwarf, war auch voller Erfolg) trugen dazu bei, dass sie ein variantenreiches künstlerisches Leben führen konnte und wichtige Werke selbst finanzierte.  Ihre „Grande Danseuse Negresse“ wurde 2015 für 1,077,250 US $ verkauft.

Es ist absolut bewundernswert, mit welcher Energie Niki de St. Phalle ihr Lebenswerk vorantrieb. Schon schwer lungenkrank, wagte sie sich immer wieder an neue, große Projekte. Ihre Großzügigkeit zeigte sich nach dem Tod ihres Ehemannes Jean Tinguely (auch wenn sie die zahlreichen Liebschaften ihres Jeannot schlecht vertrug) als sie mit unermüdlichem Engagement sein Museum mitfinanzierte und dafür – mit einer Maske – weiterhin ihre Nanas bearbeitete. Und sie erklärte sich bereit, 2002 dem Sprengel Museum ein großes Konvolut ihrer Arbeiten zu überlassen, das mit großem Respekt dort gepflegt wird.

Es ist schön, dass die Schirn Kunsthalle Niki de St. Phalle 20 Jahre nach ihrem Tod in einer farbenfroh inszenierten Ausstellung gedenkt.

Niki de St. Phalle, Schirn Kunsthalle Frankfurt bis 21.5. cca 100 Werke, Katalog 207 p. aus dem Hatje Cantz Verlag, 35.- Euro

Neben Podcasts der Schirn zu den Arbeiten von Niki de St. Phalle sind 2 weitere Podcasts hörenswert: Gespräch mit Prof.  Ulrich Krempel, dem einstigen Direktor des Sprengel Museum in Hannover, der Niki de St. Phalle in Kalifornien besuchte und ein Konvolut von etwa 400 ihrer Arbeiten für das Museum sichern konnte. Der jetzige Direktor Dr. Reinhard Spieler, der 2014 die Leitung übernahm (früherer Direktor des Wilhelm Hack Museums in Ludwigshafen, 2007-2014) äußert sich enthusiastisch über die andauernde Wirkung auch auf das junge Publikum.



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