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Die Geheimnisse der italienischen Fotografie am Beispiel Carlo Naya – eine Ausstellung im Frankfurter Städel

Die Geheimnisse der italienischen Fotografie am Beispiel Carlo Naya – eine Ausstellung im Frankfurter Städel

Ursprünglich gehörte die fotografische Sammlung des Frankfurter Städels zu der sogenannten historischen Lehrsammlung des Museums. Dieser fotografische Altbestand – er datiert vom Anfang der 1850er Jahre – wurde zunächst im Kupferstichkabinett untergebracht, wo die zusammengetragenen Abzüge nach Motiven geordnet waren. Der Nahe Osten und wichtige Kulturdenkmäler Europas (mit besonderem Akzent auf die Kulturdenkmäler Italiens und Reproduktionen bekannter Kunstwerke) bildeten den eigentlichen Fundus.

Der einstige Direktor des Städels Johann David Passavant (1787-1861) wurde beinahe durch Zufall einer der wichtigsten Förderer der Fotografie an dieser einzigartigen Institution. Passavant wechselte nach einer abgeschlossenen Banklehre nach Paris, wo er sich von den beiden großen Malern Jacques-Louis David und Antoine-Jean Groß zwischen 1815 und 1817 zum Maler ausbilden ließ, bevor er eine 7-jährige Tour durch die italienischen Städte  unternahm, um bekannte (und weniger bekannte) Denkmäler, Kunstwerke und Architektur zu studieren. Er trat der Gruppe der Lucas-Brüder (heute eher als die Nazarener bezeichnet) bei, sein Interesse galt aber dem großen Maler aus Urbino, Rafael Santi, sowie dessen Vater Giovanni Santi. 1824 zurück in Frankfurt, überraschte er die gelehrte Welt dank seiner exzellenten Kenntnis der Originale. Zwischen 1834 und 1836 fand man ihn wieder in Italien, wo er weiterreichende Studien zu Rafael durchführte. 1839 erschien seine zweibändige Studie über die beiden Santi erschienen. Die Malerkarriere wurde allerdings begraben.

Der Gemahl der englischen Königin Victoria, Prinz Albert  von Sachsen-Coburg, wurde auf die Monographie Passavants aufmerksam, deren Ergebnis die sogenannte „Raphael Collection“ wurde – eine von Albert initiierte fotografische Erfassung (ab 1852) aller in europäischen Museen befindlichen Arbeiten Rafaels[DMC1] [1].

Doch die eigentliche Begeisterung für die Fotografie setzte mit der Bekanntgabe des Daguerreotypie-Verfahrens durch François Arago und die französische Akademie der Wissenschaften im Herbst 1839 ein – eine Nachricht, die sich gleich einem Lauffeuer zunächst in Europa, dann Amerika und anschließend in allen Ländern der Erde (vor allem dank des „fotografischen Tourismus“) verbreitete.

Carlo Naya – einer der herausragenden Fotografen Italiens der beginnenden Epoche der Fotografie – hielt sich in Paris, der Heimat von Louis Jacques Mandé Daguerre (1787-1851) , eben in jener Zeit auf, als die Erfindung der „Fotografie“ bekannt wurde. Seine Reise führte weiter nach Prag, wo die Daguerreotypie sehr schnell große Verbreitung fand. Die sogenannte Königswarter Daguerreotypie ist eine Stilllebenaufnahme, die Daguerre selbst – noch bevor das Verfahren bekannt wurde – an den österreichischen Kanzler Metternich sandte. Mit einem handgeschriebenen Widmung Daguerres versehen, bemerkte Metternich sofort, welche Wichtigkeit – nach seinem Urteil – diesem neuen Verfahren beizumessen ist. Möglich, dass Naya schon um 1845 in Prag erste Daguerreotypien anfertigte. Auf jeden Fall reiste er weiter und eröffnete im Folgejahr ein Fotostudio in Konstantinopel. Als sein Bruder 1857 starb, kehrte er nach Venedig zurück und gründete hier sein eigenes Studio.

Dort fotografierte er den Campo St. Maurizio al Civico (2758), in der Nähe des Palazzo Vendramin, wo einst die Duchesse de Berry übernachtete. Eine Carte de Visite des Palazzo enthält eine Widmung des Fotografen für die Duchesse.

Die schöne Fotografie der „Riva degli Schiavoni“, um 1865, (Cf. S 53 Im Katalogbuch, erworben 2011 und Eigentum des Städelschen Museumsvereins) zeigt die zweite venezianische Adresse von Nayas Studios, die aber vermutlich einige Jahre älter ist, denn es gibt keinen Menschen an der breiten Anlageseite mit zahlreichen Schiffen: Dies besagt, dass die Belichtungszeiten – wie zu Beginn der Fotografie, als das Negativ auf der Glasplatte auf Albuminpapier kopiert wurde – so lang waren, dass alle Objekte, die sich bewegten, gar nicht oder als Schatten auf dem Abzug erschienen. 

Zuvor arbeitete Naya mit dem Verleger und Gravüren-Händler Carlo Ponti zusammen, der – möglicherweise schon ab 1858 – Nayas Fotografien vermarktete. Es ist nicht klar, ob die Ponti zugeschriebenen Fotografien tatsächlich von ihm stammen. Nach einem Streit mit Ponti eröffnete Naya ein etwas kleineres Geschäft an der Riva, mit der von Weitem zu sehenden Inschrift „Fotografie Naya“.

Als sein 1868 eröffnetes Studio an der Piazza St. Marco zu Renommee gelangt war (und finanziell ein Erfolg wurde), wagte sich Naya an neue Experimente, wie etwa das gekonnte Hineinkopieren von Wolken und der sich dahinter versteckenden Sonne in eine Albuminaufnahme. Diese – beim Kopieren abgedunkelte Partie – wurde als Nachtaufnahme bei Mondschein verkauft (mit der Bemerkung: Mondscheineffekt)[2]. Möglicherweise sind auch die beiden Fotografien im Katalog (S.58 und 59) – Blick auf den Canal Grande und Santa Maria della Salute von der Ponte della Carità – vom gleichen Glasnegativ entstanden, die eine (ohne Mondscheineffekt) aber schon vor 1870, der zweite sicherlich später.

Naya hat ebenfalls die Fresken von Mantegna in Padua fotografiert (und natürlich auch vermarktet). Er hat die Bas-Reliefs, die es in der St. Johann und Paul Kirche in Venedig  gab, noch vor dem großen Brand aufgenommen, ebenso Venedigs Interieurs (im Dogenpalast die einzelnen Säle, sowie Gemälde von Tizian, Paolo Veronese und Tintoretto – so zumindest die Ankündigung aus seinem Atelier in Campo S. Maurizio in der Lagunenstadt.

Seine Entwicklungsprozesse verbesserte Naya beständig: eine dünnere Schicht von Kollodium ermöglichte ihm möglicherweise, auch kürzere Belichtungszeiten zu wählen, was auch die Aufnahme von Personen ohne stützende Hilfe ermöglichte. Nicht umsonst wurde er bei der Weltausstellung in London 1862, in Paris bei L’Exposition Universelle 1867 (Médaille d’Argent), in Groningen 1869, in Trieste 1872, in Dublin ebenfalls 1872 und in Wien 1873 mit der „Prima Medaglie“ ausgezeichnet.  

Erste Personen erscheinen in Nayas Albuminabzügen schon Ende der 1860er Jahre. Bei einigen Aufnahmen gelingt es ihm, die Belichtungszeit so zu kürzen, dass sogar feine Wellen an der Wasseroberfläche zu sehen sind – wahrscheinlich wurde die Wasseroberfläche vom Wind berührt, so dass diese Wellen deutlich erscheinen und sehr poetisch auf dem Abzug des Gondolieri vor der Rialto-Brücke wirken: Cf. S. 52, Rialtobrücke in Venedig, etwa 1875.

 Carlo Naya starb Ende Mai 1885. Die etwa 5.000 Negativplatten – davon allein 1800 mit Motiven aus Venedig – gehörten zunächst den Familienangehörigen, dann ab 1920 bis 1980 der Firma O. Böhm, Fotografo-Editore … Heute sind sie in mehreren Institutionen in Italien untergebracht. Die Bibliothèque Nationale de France in Paris besitzt ebenfalls ein wichtiges Konvolut von Nayas Fotografien. Sein populäres Album „Ricordo di Venezia“ (1876?) mit verschiedenen Reproduktionen – einige sogar koloriert – gibt es antiquarisch immer noch in unzähligen Varianten zu kaufen.

Absichtlich habe ich nur ein Beispiel aus der ganzen Pléiade der italienischen oder in Italien ansässigen ausländischen Fotografen gewählt, die am Ende ihrer langjährigen Aktivität als italienische Fotografen (etwa der Deutsche Giorgio Sommer) galten. Es wäre auch möglich gewesen, einen Vergleich von Aufnahmen desselben Ortes zu wählen und deren verschiedene Techniken und Varianten zu untersuchen (Cf. Auch Il fondo fotografico Naya a Palazzo Fotuny). So ließen sich auf ähnliche Weise die Gebrüder Alinari und Brogi, Giorgio Sommer, Gioacchino Altobelli etc. unter die Lupe nehmen. Ein anderes Mal.


1/ Ich danke der Kuratorin der Fotografischen Sammlung des Museum Städel, Kristina Lemke, für die detaillierten Informationen über Passavants Interesse an der Fotografie. Cf. auch Katalog zur Ausstellung, Kr. Lehmke, (Hrsg.) „Italien vor Augen“, S.12-13, Städel Publikationen, 2023.

[2] Es müsste aber auch analysiert werden, ob die Verdunkelung etwa durch Zugabe von Rußpartikeln im Entwickler geschah, oder ob Naya andere Methode erfand, um die bläuliche oder schwärzliche Färbung der Albuminabzüge zu erzielen.






Italien vor Augen, Frühe Fotografien ewiger Sehnsüchte

23.02.2023

Städel
Frankfurt / Main
Deutschland

www.staedelmuseum.de




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